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Buchtipps - Lyrik

Oskar Loerke gehört zu den bedeutendsten Vertretern der deutschen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Seine Gedichte werden in Anthologien unter den Stichworten Expressionismus, Naturdichtung oder Innere Emigration abgedruckt. Doch wird diese Reduktion der thematischen Vielfalt und dem Formenreichtum seiner Dichtung nicht gerecht, die weite geschichtliche, mythologische und geographische Räume umgreift. Ihr grundsätzliches Einverständnis mit der Welt erfährt in der NS-Zeit einen tiefen Riss, der auch durch offen eingestandene Wut und Verzweiflung am Weltzustand nicht mehr zu heilen ist.

Christine Lavant schrieb Gedichte, die in ihrer sprachlichen Eigenwilligkeit und existentiellen Zerrissenheit für Thomas Bernhard zu den »Höhepunkten der deutschen Lyrik« zählen. Er beschrieb ihre Lyrik als »das elementare Zeugnis eines von allen guten Geistern mißbrauchten Menschen«.

Neu in einer zweibändigen Ausgabe: »solange noch Liebesbriefe eintreffen« vereint Helga M. Novaks gesamtes lyrisches Werk, vom ersten Gedichtband über die Bücher, die den Rang der großen Lyrikerin begründeten und über die Jahrzehnte bestätigten: Ballade von der reisenden Anna, Colloquium mit vier Häuten, Balladen vom kurzen Prozeß, Margarete mit dem Schrank, Legende Transsib, Märkische Feenmorgana, Silvatica.

Bilderreich aber lakonisch versucht Wilhelm Lehmann, die Welt zur Welt zu machen. Während seine Lyrik auf präzisen Beobachtungen der Natur und eigenen botanischen Studien fußt und sich mit Motiven der Bildungstradition an nicht wenigen Stellen verbindet, sind Lehmanns Erlebnisse als Deserteur und Kriegsgefangener, später als Gymnasiallehrer Hintergrund der Romane. Sein »Bukolisches Tagebuch« wiederum steht in der Tradition des anglo-amerikanischen nature writing, dient aber auch als Lyrik-Werkstatt.

In ihrem zweiten Gedichtband nach »die ungerührte schrift des jahrs« (2010) führt Esther Kinsky ihre lyrische Erkundung des Lebens fort und erweitert den Kosmos ihrer Bilderwelt – Natur, Landschaft, Jahreszeiten – um Themen, die sie weit über ihr bisheriges Zentrum Mitteleuropa hinausführen. Mit leisem und wissendem Humor bricht sie auf nach Patagonien, ein Land der Sehnsüchte und Träume, folgt den Flügen der schwarzen Raben.

Ein literarischer Mythos in der Romandie, im deutschsprachigen Raum zu entdecken: der Lyriker Georges Haldas.

»Jedes Gedicht kann das letzte sein.« Zutiefst persönlich, sinnlich und kompromisslos verdichtet Amanda Aizpuriete ihre Emotionen, die Essenz ihres Lebens. Die Gedichte sprechen für sich. Sie sind schlicht, widerborstig, ohne Pathos und Beschaulichkeit. Die Grande Dame der lettischen Dichtung ist seit dem Erscheinen ihres ersten Gedichtbandes »Die Untiefen des Verrats« 1993 in der Übertragung der Interlinearversionen aus dem Lettischen von Margita Gũtmane und der Dichterin durch Manfred Peter Hein bekannt.

Ryszard Krynicki zählt zu den »wichtigsten lyrischen Stimmen« (Ilma Rakusa) aus Polen. Dieser Band versammelt eine breite Auswahl seines Schaffens, von den widerständigen politischen Gedichten bis zu den Haikus der letzten Jahre, in denen Krynicki die ganze Schönheit und Vergänglichkeit der Welt zu bündeln vermag. »Ein Pfauenauge? / Brüchige Schönheit, trauernd / die Flügel faltend.«

Liebe, Alltag, Tod, Geschichte und Natur: mit unglaublicher Souveränität macht Lisel Mueller aus den Themen unseres Lebens Gedichte, die nicht nur formal und sprachlich, sondern auch emotional bezwingen. Lisel Mueller ist die bedeutendste amerikanische Dichterin der Gegenwart. Vom American Book Award über den Pulitzer Price bis zum Ruth Lilly Memorial Award reichen die Auszeichnungen.

Liebe ist für Thomas Brasch (1945–2001) eine Haltung, die sich jeder Festlegung verweigert. Eine Haltung, die ihre Träume fürchtend und sehnend der Wirklichkeit aussetzt und das Mögliche stets in den Horizont des Unmöglichen stellt. Braschs dichterische Leidenschaft hofft und verzweifelt, vertraut und betrügt, preist und vernichtet. Und sie belehrt: Wann, wem und wie schreibt man ein erotisches Gedicht?