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Allahs Schatten über Atatürk

Die Türkei in der Zerreißprobe

Erschienen am 01.08.2001
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442151370
Sprache: Deutsch
Umfang: 480 S.
Format (T/L/B): 3.2 x 18.2 x 12.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Die Türkei klopft immer vernehmlicher an Europas Pforten an und begehrt Einlass in die EU. Der Erfolg ist ungewiss, denn das Land am Bosporus folgt nur teilweise den Spielregeln der westlichen Demokratie. Im Inneren ist es zerrissen zwischen der streng säkularen kemalistischen Staatsdoktrin und der Wiedergeburt der islamischen Religiosität. In diesem Spannungsfeld siedelt Peter Scholl-Latour, der bereits seit 1951 immer wieder über die Türkei berichtet hat, seine Reportage an. Er spannt einen Bogen vom Kampfgebiet der PKK über die islamistische "Tugend-Partei" bis zu anderen religiösen Gruppierungen wie den Aleviten und hilft ein faszinierendes Land besser zu verstehen. Ausführlich geht er auch auf die unterschiedlichen Bewegungen ein, die sich innerhalb der türkischen Volksgruppe in der Bundesrepublik aktiv entwickelt haben und uns Deutsche unmittelbar betreffen.

Autorenportrait

Peter Scholl-Latour wurde 1924 in Bochum geboren. Neben einer Promotion an der Sorbonne und dem Diplom des Institut National des Sciences Politiques in Paris erwarb er an der Libanesischen Universität Beirut das Diplom für arabische und islamische Studien. Seit 1950 arbeitet er als Journalist, u.a. viele Jahre als Korrespondent in Afrika und Indochina, als Studioleiter in Paris, als Fernsehdirektor des WDR, als Herausgeber des "Stern". Zu seinen größten Erfolgen als Buchautor zählen die Bestseller "Der Tod im Reisfeld" (1980), "Der Wahn vom Himmlischen Frieden" (1990), "Eine Welt in Auflösung" (1993), "Das Schlachtfeld der Zukunft" (1996) und "Lügen im Heiligen Land" (1998). Mit dem vorliegenden Buch schließt sich thematisch der Kreis zu einem seiner frühen und wichtigsten Werke: "Mord am großen Fluß - Ein Vierteljahrhundert afrikanische Unabhängigkeit" (1986).

Leseprobe

Prizren, im Juli 1999 Es ist in diesen Tagen kein Wagnis - von Skopje in Mazedonien oder vom Grenzflecken Kukës in Nord-Albanien kommend - nach Prizren ins Kosovo zu reisen. Schon bei meinem ersten Besuch vor sechs Jahren war mir der Amtssitz des südlichen Pastrik-Distrikts als eine der schönsten osmanischen Städte des Balkans aufgefallen. Nach Mostar natürlich, aber Mostar, dieses Kleinod türkischer Architektur in der Herzegowina, ist inzwischen von den Kroaten in Schutt und Asche geschossen worden. Ähnliche Befürchtungen überkommen mich, während ich von der Terrasse des Hotels »Theranda« auf Prizren und dessen flache Ziegeldächer blicke, die auf dem steilen Südufer der Prizrenska Bistrica stufenförmig den Hang erklimmen. Der Abend ist noch früh, aber schon erstrahlt die quadratische, festungsähnliche Freitagsmoschee in künstlicher Beleuchtung. Auch die alte türkische Burg hoch auf dem Kamm der dichtbewaldeten Höhe, der man sich wegen Minengefahr nicht nähern soll, ist romantisch erhellt. Sogar auf die byzantinische Kuppel des christlich-orthodoxen Klosters sind Scheinwerfer gerichtet. Jedermann weiß, daß hinter dessen Mauern ein Häuflein gestrandeter Serben unter der Obhut ihres Popen um ihr Leben bangten. Bilder eines trügerischen Friedens und eines spektakulären militärischen Aufgebots sind in dieser alten osmanischen Ortschaft eine kontrastreiche, fast absurde Kombination eingegangen. Zu der Stunde vollzieht die Jugend der Stadt - das sind etwa siebzig Prozent der Bevölkerung - das Ritual ihres abendlichen Korsos. Sie kreist in dicht gedrängten Scharen beider Geschlechter um die zwei Brücken, deren ältere aus der Epoche Süleymans des Prächtigen stammt. Der Krieg und die Not - so könnte man meinen - sind spurlos an Prizren vorübergegangen. Die Geschäfte quellen über von Waren oft türkischer Herkunft. Die Stände der Viktualien-Händler biegen sich unter dem reichen Angebot. Die Imbißstuben am Flußrand sind überfüllt. Von 180000 Einwohnern Prizrens waren etwa 60000 geflohen oder von den Serben verjagt worden. Sie sind alle wieder da, und der jugendlichen Ausgelassenheit scheinen diese Tage des Grauens, die zurückliegenden zehn Jahre einer systematischen Unterdrückung durch Belgrad nichts angetan zu haben. Im Gegenteil - das Bewußtsein, vom Alptraum der Demütigung, von der Angst ums nackte Überleben erlöst zu sein, steigert die Lebensfreude zum Rausch. Der jugendliche Reigen von Prizren schiebt sich durch das flußnahe Gassengewirr zum Klang dröhnender Lautsprechermusik, als würde hier ein triumphaler Tanz aufgeführt. Sie bewegen sich zum Lärm albanischer und amerikanischer Schlager und zu jenen martialischen Kampfliedern der Kosovo-Befreiungsarmee, der UÇK, wo pathetisch vom Heldentod, vom Stolz der Skipetaren, vom unbezwingbaren Mut der albanischen »Adlersöhne« die Rede ist. Die Jünglinge geben sich in ihrem Aufzug so amerikanisch wie nur möglich, und die überwiegend hübschen Mädchen mit hellblonden oder rabenschwarzen Mähnen haben sich geradezu aggressiv zurechtgemacht, mit auffälligem Make-up, mit leichten Blusen, die die Haut der Taille und den Bauchnabel frei lassen. Miniröcke sind kaum zu sehen, aber die Hosen sind so eng geschneidert, als fände ein erotischer Wettbewerb statt. Der Tod lauert gewiß im Hintergrund, aber der Tod, das wissen die Psychologen, ist das stärkste Aphrodisiakum. Dann die andere Seite des Bildes: Die massive und beeindruckende Präsenz der deutschen Bundeswehr. Zum erstenmal sehe ich diese Truppe im Einsatz, und - ich sage es ganz ehrlich - ich bin positiv überrascht. Die Soldaten verfügen über vorzügliches Material, das perfekt gewartet und von besserer Qualität ist als in den anderen Kontingenten der NATO-geführten Friedenstruppe KFOR. Selbst die Amerikaner besitzen keine gleichwertige Ausstattung ihres Heeres. Ob die mächtigen Leopard-Panzer, die sich durch die schmalen Windungen des Kosovo quälen und zwischen den Häuschen der Altstadt von Prizren wie Saurier wirken, in diesem Gelände

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